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Der Garten des Kobolds

Der Garten des Kobolds

(Eine Geschichte für „große Kinder“)

„Mein Garten!“ Stolz ließ ein kleiner Kobold seinen Blick über einen blühenden Flecken Wiese gleiten, den er den seinen nannte. Lange hatte er ihn gehegt und gepflegt, sogar einen Zaun um ihn errichtet, was im grünen Tal gar nicht üblich war.  Nun blitzten seine Augen auf, wenn sie die üppigen Knospen sahen, die sich auf den Zweigen der Sträucher aneinanderreihten und aus duftenden Hainen die Pracht seltener Blumen hervorragte.

Ja, er konnte wahrlich stolz auf seinen Garten sein, mit all den kostbaren  Pflanzen, die er wie seinen eigenen Augapfel hütete.

Was ihn besonders freute, war, dass sein Garten viel prachtvoller war als alle anderen, die er um sich herum erblickte. Denn seine Augen spähten oft in die Blumenhaine der anderen Kobolde. Die schienen sich allerdings nicht so abzumühen wie er. Manche lagen oft nur unter ihren wild-wuchernden Sträuchern im Sonnenschein, kauten an Grashalmen und schauten den Wolken am Himmel zu.

Das konnte der kleine Kobold nicht verstehen.

Sein ganzer Eifer lag darin, den schönsten Garten des Tals zu haben und dafür tat er alles, was ihm in den Sinn kam. Er lockerte die Erde, streute Käfer-Dünger unter die Blumen und wischte sogar Staubwölkchen von ihren Blütenblättern. Sein Garten sollte ohne den geringsten Makel im Sonnenlicht erstrahlen.

 Aber auch für den Garten des kleinen Kobolds kam unweigerlich, wie in jedem Jahr, die Zeit des Verblühens. Inmitten dürr-raschelnden Laubs stand er hilflos und versuchte vergeblich, die welken Blütenköpfe und vertrockneten Stängel wieder aufzurichten. Die anderen Kobolde in ihren Gärten schien auch dies nicht zu bekümmern. Sie kehrten das Laub ein wenig zusammen und polsterten damit ihre Winter-Höhlen aus.

 Nur der kleine Kobold konnte sich nicht damit abfinden, dass sein ehemals schönster Garten im trüben Winterlicht vor ihm verblich, Blätter und Blüten sich mit nasser Erde mischten und die Halme sich zu Boden neigten. Sein trauriger Blick lag auf dieser Kümmernis und mit gebrochenem Herzen lehnte er am Gartenzaun.

 So bemerkte er nicht, dass hinter ihn jemand herangetreten war. Erst, als ein warmer Atem seinen Rücken füllte, drehte er sich um und blickte auf die knorrige Gestalt eines alten Zwerges, eines sehr alten Zwerges, wie es ihm schien. Sein langer weißer Bart hing ihm beinahe bis zur Erde hinab und gestützt auf einem verwachsenen Baumstamm als Gehstock blinzelte er ihn aus dunklen, tief-leuchtenden Äuglein an. Gehört hatte der Kobold schon von ihm, die Wiesenbewohner hatte sich von ihm erzählt an den Abenden, wenn sie mit einem Rat von ihm gekommen waren. Wo er wohnte, wusste der Kobold nicht, „aber da bin ich nun eben des Weges geschlendert“, so der Zwerg und in seinen Augen blitzte es schalkhaft auf, „und finde dich hier“.

„Dir scheint es nicht gut zu gehen“, fuhr der Zwerg fort und ein Ausdruck mitfühlender Wärme lag in seiner Stimme. Nein, das musste der Kobold zugeben, und mit Blick auf seinen Garten kamen ihm die Tränen.

 „Ja, es ist wohl ein Jammer“, bemerkte der alte Zwerg und sah ebenfalls versonnen auf die verblühenden Zweige und Pflanzen in des Kobolds schönstem Garten.

„Der schönste war er, weit und breit“, so klagte der Kobold, „und nun …“

„Du kannst sicher viel von ihm mitnehmen“, meinte der alte Zwerg und legte dem Kobold tröstend seinen Arm auf die Schulter. „Mitnehmen?“ Der Kobold war sichtlich verwundert. Was hätte er in seine Winter-Höhle bergen können an grünen Pflanzen und Blüten, die alle allein das Sonnenlicht brauchten, das Wasser und die Pflege, die er ihnen geben konnte.

„Dass er der schönste aller Gärten war, vielleicht?“, kam ihm in den Sinn.

„Na ja, das ist schon mal was“, lachte der alte Zwerg schelmisch auf. Dann wurde er wieder ernsthaft.

„So viel Freude muss es machen, wenn eine Blume sich in ihrer ganzen Besonderheit entfaltet. Ich beneide dich.“

Der Kobold wurde still und dachte nach. Er erinnerte sich daran, wie die Knospe so mancher Pflanze aufgeblüht war, als er es schon beinahe aufgegeben hatte. Mit einem Lächeln dachte er daran, wie sie ihn im Sonnenlicht freudig anschillerten. Er dachte an die Momente, als er ihnen über ihre Blätter strich, die Vielfalt ihrer Farben bewunderte und den Duft frischer grüner Blätter einatmete. Und wie zufrieden er damit war, dass alles blühte und gedieh.

 Mehr und mehr erzählte der Kobold dem alten Zwerg von seinem Garten, aber zu seiner Überraschung nicht davon, wie wertvoll so manche Blume war. Und von seinem Stolz, weil sie sonst niemand hatte.

Er erinnerte sich an die Momente, als er dem Glucksen des Baches zuhörte, der durch die Wiese lief und an das Knistern von Heu unter seinen Füßen. Wenn ein sanfter Lufthauch über die Blumen strich, vermischte sich ihr Duft mit dem des getrockneten Grasses und der mittagsschweren Sonne auf seiner Haut. Und am Abend, wenn er sich nach dem Ackern und schweren Wasser-Tragen unter einen Strauch legte, hörte er in die Stille seines Gartens hinein. Die Blätter raschelten im lauen Abendwind, von irgendwoher hörte er noch einen Vogel in die Nacht rufen und das leise Getrappel von kleinen Tierfüßen. Dann streichelten die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf seine Wangen und hüllten ihn in ihren warmen abendroten Schein.

 „Wie schön“, sprach der alte Zwerg in das Schweigen hinein, das sich über die beiden ausbreitete, als der Kobold mit seinen Erzählungen geendet hatte. Beide blickten nachdenklich auf den Garten vor ihnen.

 „Du hast dir einen schönen Garten in deinem Inneren bepflanzt“. Der alte Zwerg sprach es mit leiser aber bedeutungsvoller Stimme. „Nun kann es gar nicht so schwer sein, im Winter auf den Frühling zu warten. In deinem inneren Garten …“ Der weise Zwerg lächelte den Kobold an.

 So verabschiedeten sie sich freudig, drückten sich die Hände und der Kobold ließ den alten Zwerg nur schweren Herzens ziehen. Er blickte ihm lange nach, wie er langsam den Waldweg entlang ging, bedächtigen Schrittes und doch mit Leichtigkeit, bis er hinter einem Strauch verschwand. Und der Kobold fragte sich, wie viele Gärten voller Schönheit wohl im Inneren eines weisen alten Zwerges liegen müssen…

 

 

 

 

 

 

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